Fäden Norwegischer Kultur: Die Selburose

Alexandra Wendorf 

14. AUGUST 2024

Das Norwegermuster, auch bekannt als Setesdal-Pullover-Muster oder Selburose, ist ein traditionelles Strickmuster, das tief in der norwegischen Kultur verwurzelt ist. Historisch entstanden ist es im 19. Jahrhundert in Norwegen, genauer im Setesdal-Tal. Das Muster wurde zunächst für die Gestaltung von Wollpullovern verwendet, die als Teil der traditionellen norwegischen Tracht getragen wurden. Es besteht typischerweise aus geometrischen Formen und symbolischen Darstellungen, einschließlich Sternen und Kreuzen, die oft in einer symmetrischen Anordnung präsentiert werden.

Die Ursprünge des Norwegermusters sind eng mit der norwegischen Schafzucht und Wollverarbeitung verbunden. Norwegen hat eine lange Tradition in der Schafhaltung und der Produktion von Wolle, und das Stricken spielte eine wesentliche Rolle im täglichen Leben, besonders in den kalten, langen Wintern. Das Stricken von Kleidung mit komplexen Mustern wie dem Norwegermuster diente nicht nur dem praktischen Zweck des Wärmens, sondern auch der ästhetischen und sozialen Bedeutung, indem es Handwerkskunst und kulturelle Identität zum Ausdruck brachte.

Heute findet man das Norwegermuster in einer Vielzahl von Kleidungsstücken und Accessoires, nicht nur in Norwegen, sondern weltweit. Es schmückt Pullover, Socken, Mützen, Handschuhe und sogar Heimtextilien wie Decken und Kissen. Das verwendete Garn für die feingliedrigen Muster muss eher dünn sein, um die Details gut hervorzuheben. Ein besonders charakteristisches Element ist die Selburose, ein achtzackiger Stern, der ursprünglich einer achtblättrigen Rose ähnelte. Entworfen wurde sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Marit Guldsetbrua Emstad (geb. 1847), die aus Selbu in Mittelnorwegen stammte. Im Alter von 15 oder 16 Jahren entwarf sie das komplizierte zweireihige Muster. Sie wurde schon bald „Mutter des Selbu-Strickens“ genannt und strickte vor allem Handschuhe. Als Vorlage für das oktogonale Selbu-Muster dienten alte Strickmuster und Holzschnitzereien.

Vom Strickmuster bis zum Symbol des Widerstandes

Als die Mühlsteinproduktion in Selbu zurückging, wurde das Stricken immer beliebter. Viele sehen in Birke, einem lokalen Händler, den Hauptakteur, der den typisch norwegischen Fäustlingen mit der prägnanten Selburose  zu überregionaler Bekanntheit verhalf, indem er sie auf Ausstellungen präsentierte, unter anderem auf der Industrieausstellung in Kristiania (dem heutigen Oslo) im Jahr 1883. Diese Strickarbeit hatte für die Frauen in Selbu eine große Bedeutung, denn durch das Stricken der Fäustlinge wurde ihre Arbeit zum ersten Mal sichtbar. Sie konnten nicht nur ihr Können und ihre Kreativität zeigen, sondern hatten auch die Möglichkeit, eigenes Geld zu verdienen und unabhängig zu werden. Als die Popularität der Selbu-Fäustlinge zunahm, begannen immer mehr Selbygger, also Einwohner von Selbu, für Geld zu stricken. Als die Popularität der Fäustlinge in den 1930er und 1940er Jahren ihren Höhepunkt erreichte, hatten etwa 3.000 Strickerinnen das Stricken als Haupteinkommensquelle. Die Strickerinnen waren schnell, konnten stricken, ohne hinzuschauen, und brauchten kein Muster als Vorlage. In den 1930er und 1940er Jahren strickten nicht mehr nur die Frauen die Fäustlinge. Sowohl Kinder als auch Männer strickten, so viel sie konnten, so dass man Männer oft in den Pausen ihrer Waldarbeit beim Stricken beobachten konnte. Die Stadt Selbu hatte sogar eine eigene Fäustlingsbörse und befand sich anfangs im örtlichen Lebensmittelgeschäft. Dort konnten die Strickerinnen ihre Fäustlinge abgeben und bekamen dafür Geld oder Lebensmittel. In den 1930er Jahren wurde die Selbu Husflidscentral eröffnet. Neben der Annahme der Fäustlinge bestand ihre wichtigste Aufgabe darin, deren Qualität zu gewährleisten; sie diente quasi als Kontrollstelle – eine Aufgabe, die sie bis heute erfüllt.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Selbu-Fäustlinge schließlich als geheimes Symbol verwendet. Die norwegische Widerstandsbewegung trug manchmal Selbu-Fäustlinge mit dem eingestrickten königlichen Wappen, um sich so einander zu erkennen zu geben. Neben Fäustlingen wurden aber zunehmend Pullover, Socken und andere Kleidungsstücke im Selbu-Muster gestrickt, was die Popularität des Musters insgesamt weiter steigerte.

Mittlerweile ist die Selburose zu einem der bekanntesten Norwegen-Symbole geworden und auf dem Wappen der Kommune Selbu zu finden. Im englischen Sprachraum wird das Muster auch Norwegian Star – Norwegischer Stern – genannt. Heutzutage ist die Selburose vor allem als Symbol des Winters bekannt, wohl aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit einer Schneeflocke. Im Laufe der Zeit hat sich das Muster von seiner traditionellen Rolle in der norwegischen Tracht zu einem beliebten Element in der internationalen Mode entwickelt.

Die Läusejacke (norwegisch Lusekofte), eine Strickjacke oder ein Pullover mit geradem Halsausschnitt, ist bekannt für ihre gleichmäßig verteilten weißen Maschen, die im Volksmund „Läuse“ genannt werden. Ursprünglich waren die Muster meist zweifarbig, schwarz und weiß, aber schon bald wurde Rot als dritte Farbe eingeführt. Moderne Norwegerpullover sind in vielen verschiedenen Farben erhältlich, wobei selten mehr als drei Farben in einem Pullover verwendet werden. Rentiermuster und andere figürliche Darstellungen sind eine neuere Entwicklung und gehören nicht zur traditionellen norwegischen Lusekofte.

Traditionelles Erbe und Zeitlose Mode

Handgefertigte norwegische Pullover, die seit dem 15. Jahrhundert gestrickt werden, waren traditionell ein Produkt der Dorffrauen, die einheimische Wolle und Pflanzenfarben verwendeten. Die daraus resultierenden Farben waren natürliche Blau-, Grau- und Cremetöne. Mit der Einführung künstlicher Farbstoffe wurden die Farben heller, obwohl die gedeckten Töne immer noch beliebt sind. Das traditionelle Schwarz-Weiß-Muster, das wir heute noch kennen, entstand im 19. Jahrhundert und ist nach wie vor ein wesentliches Merkmal des Norwegermusters, das nicht nur ein fester Bestandteil der norwegischen Identität ist, sondern auch international als Inbegriff skandinavischer Strickkunst geschätzt wird.

Die verwendeten Materialien für das Norwegermuster waren und sind auch heute noch hauptsächlich natürliche Fasern wie Wolle, wobei die Technik des Strickens zur Anwendung kommt. Vor allem die Schafswolle wird aufgrund ihrer Wärmeisolierung, Atmungsaktivität und natürlichen Wasserresistenz geschätzt. Moderne Interpretationen des Musters verwenden jedoch auch andere Materialien wie Baumwolle, synthetische Fasern und Mischgewebe, was die Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit des Musters unter Beweis stellt.

Aber auch in der heutigen Zeit hat das Norwegermuster nicht nur eine modische Bedeutung, sondern auch eine kulturelle. Es ist ein Symbol für norwegisches Erbe und Handwerkskunst und vermittelt ein Gefühl von Tradition und zeitloser Ästhetik auch wenn das Muster über die Jahrhunderte hinweg eine Modernisierung erfahren hat und Designer es in verschiedenen Farben, Größen und Kontexten neu interpretieren. In der modernen Designwelt wird das Norwegermuster oft verwendet, um traditionelle Techniken mit Innovation und Modernität zu verbinden.

Die kulturelle Bedeutung des Norwegermusters als nationales Symbol Norwegens bleibt unverändert stark und repräsentiert die Verbindung zur Natur, die Wertschätzung für handwerkliche Fertigkeiten und ein kollektives kulturelles Gedächtnis.

Buchempfehlungen

Selbu Patterns: Discover the Rich History of a Norwegian Knitting Tradition von Anne Bårdsgård, 2021

Das Buch konzentriert sich auf die Geschichte und die Muster der berühmten Selbu-Handschuhe, die Teil des Norwegermuster-Erbes sind.

Norwegian Knitting Designs – 90 Years Later: A New Look at the Classic Collection of Scandinavian Motifs and Patterns von Wenche Roald, Annichen Sibbern Bohn, 2020

Das Buch greift eine Ausgabe aus dem Jahr 1929 auf und ist für die heutige Zeit aktualisiert. Es gibt viele Muster für Pullover, Mützen und mehr, alle mit schönen Fotos, detaillierten Anleitungen und einer ausführlichen historischen Betrachtung.

 

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